Pinochet macht Polizisten zu Volkszählern

■ In Chile sollen Carabineri eine landesweite Volkszählung durchführen / Auch die Mitgliedschaft in einer Partei auf dem Fragenkatalog / Die Opposition kritisiert scharf Verstoß gegen geltendes Recht / Diktator Pinochet sieht Zustände „wie 1973“ vor dem Militärputsch

Santiago (afp/taz) - Diktator Pinochet will sein Volk ausforschen. Anfang Januar sollen Carabineri, paramilitärische Polizisten, von Haus zu Haus gehen, um eine landesweite Volkszählung durchzuführen. Die Chilenen sind verpflichtet, Angaben zum Personenstand und zu den familiären und Wohnverhältnissen zu machen. Zudem müssen sie den Carabineri ihre eventuelle Mitgliedschaft in einem Berufsverband, einer Gewerkschaft oder einer Partei verraten. So will es ein von Pinochet und seinem Verteidigungsminister Patricio Carvajal unterzeichnetes Dekret, das am Freitag im Staatsanzeiger veröffentlicht wurde und dadurch Gesetzeskraft erlangte.

Die Opposition reagierte auf das Dekret mit scharfer Kritik. Der nationale Koordinator der chilenischen Menschenrechtsorganisation, Andres Dominguez, verglich die Volksbefragung mit der in Frankreich während der Besetzung durch Nazi-Deutschland. Der Verfassungsrechtler Francisco Cumplido erklärte, das Dekret verstoße gegen geltendes Recht, das den Schutz der Privatsphäre garantiere, und Tomas Hirsch, Präsident der Humanistischen Partei, sprach von lächerlichen Ankündigungen eines gescheiterten Diktators.

Das neue Dekret fügt sich ein in eine Reihe von „Strafmaßnahmen“ nach dem Sieg der Opposition über Pinochet beim Plebiszit vom 5.Oktober dieses Jahres. So wurde letzte Woche Sergio Marras, Herausgeber der oppositionellen Zeitschrift 'Apsi‘, wegen „Beleidigung der Streitkräfte“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der Richter Rene Garcia, der in 35 Fällen gegen den Geheimdienst CNI wegen Folter ermittelt und in mehreren Interviews Foltermethoden geschildert hatte, wurde auf Beschluß des Obersten Gerichts für 15 Tage vom Dienst suspendiert. In verschiedenen Armenvierteln der Hauptstadt, wo beim Plebiszit die Ablehnung Pinochets besonders hoch war, wurden die staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gestrichen und 8.000 Arbeiter entlassen.

Pinochet, der sich offenbar ungerührt von seiner Niederlage an den Urnen weiterhin einbunkert, hat inzwischen wieder zur alten Sprache zurückgefunden. Er habe am 5.Oktober „mit Rußland, mit den USA, mit den Ländern Europas und mit einigen Geistlichen der Kirche“ Fortsetzung auf Seite 2

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gekämpft, beteuerte er letzte Woche. Und bei einer Ansprache in der nordchilenischen Grenzstadt Arica sprach er von einer Rückkehr der politischen Tendenzen, die zu seinem Putsch von 1973 geführt hätten. Dieselben Leute, die „vor 15 Jahren unser Vaterland und unsere Demokratie zerstört haben“, fuhr der Diktator fort, trügen nun wieder ihre alten Vorschläge vor. Eine kaum verhüllte Drohung. Schon öfter hatte Pinochet verkündet, daß - wenn die Zustände von 1973 zurückkehrten auch die Lösungen wie 1973 aussehen würden. Doch dürfte ihm nach der Blamage vom 5. Oktober für einen zweiten Putsch zur Zeit der nötige Rückhalt bei seinen eigenen Militärs und den USA fehlen.

thos